Road Cycling - Road Bike Fit

Bike-Fit nach Stil & Können

Dieser Guide soll dein Verständnis für Bike-Fitting-Prinzipien vertiefen. Wenn du auf dem Rad Schmerzen verspürst oder nach optimaler Performance suchst, empfehlen wir dir dringend ein professionelles Bike-Fitting. Wir empfehlen dies auch vor dem Kauf eines teuren Rennrads – denn die richtige Rahmengröße und optimale Passform sind immer das beste Performance-Upgrade.

a. Bedeutung der Fahrstile

Viele verschiedene Menschen fahren Rennrad – mit unterschiedlichen Fähigkeiten, Zielen und Körperformen. Deshalb sollte auch nicht jedes Bike-Fitting gleich sein. Der Körper verändert sich zudem im Laufe der Zeit, was bedeutet, dass sich auch das optimale Bike-Fit regelmäßig anpasst.

Jeder Fahrstil stellt individuelle Anforderungen an den Körper und das Rad. Ob Komfort, Ausdauer, Geschwindigkeit oder Climbing – die Wahl des passenden Set-Ups kann deine Leistung und dein Fahrerlebnis enorm verbessern.

Auch Komponenten wie Rahmengeometrie oder Lenkerform beeinflussen das Bike-Fit und sollten je nach Fahrstil ausgewählt werden. In diesem Kapitel konzentrieren wir uns jedoch auf die Feinabstimmung der bestehenden Ausstattung, damit du das Beste aus deinem aktuellen Set-Up herausholen kannst.

Mittlerweile gibt es zahlreiche Apps und Online-Services, die deine Körperhaltung während des Indoor-Trainings analysieren können. Diese Tools ermöglichen vielen Rennradler*innen eine bessere Performance. Dennoch glauben wir, dass ein grundlegendes Verständnis der Bike-Fitting-Prinzipien unerlässlich ist. Wenn du verstehst, warum Anpassungen vorgenommen werden und welche Risiken sie bergen, kannst du die Analyse-Tools gezielter nutzen und deine individuellen Ergebnisse besser interpretieren.

Bevor du in dieses Kapitel einsteigst, empfehlen wir dir, unser Kapitel zu den Fahrstilen und Körpervermessung in den Fundamentals zu lesen. Der Beitrag zum Bike-Sizing in unserem Kapitel Die perfekte Rennrad-Auswahl könnte ebenfalls hilfreich sein.

Bike-Fitting ist ein dynamischer Prozess

Bike-Fitting ist keine einmalige Aufgabe. Körper und Fähigkeiten verändern sich im Laufe der Zeit. Mit zunehmender Flexibilität oder Kraft durch Training (oder abnehmender Fitness durch weniger Bewegung) muss auch das optimale Set-Up angepasst werden.

Studien zeigen, dass bereits kleine Anpassungen – wie das Heben oder Senken des Sattels um 1-2 cm – die anaerobe Leistungsfähigkeit stark beeinflussen können. Deshalb sollte Bike-Fitting ein dynamischer Prozess sein, bei dem regelmäßig überprüft und feinjustiert wird.

Indem du Aspekte wie Flexibilität, Muskelkraft und Pedaleffizienz berücksichtigst und die richtigen Techniken anwendest, stellst du sicher, dass dein Rennrad immer perfekt zu deinen aktuellen Fähigkeiten passt – für eine effiziente, komfortable und verletzungsfreie Fahrt über viele Jahre hinweg.

b. Körperhaltung & Gelenkwinkel

Das Verstehen und Einstellen der richtigen Gelenkwinkel ist essenziell, um Komfort, Kraftübertragung und Verletzungsprävention beim Rennradfahren zu optimieren. Die richtige Körperhaltung sorgt für eine ausgewogene und effiziente Fahrweise, während eine schlechte Ausrichtung zu Unwohlsein, ineffizientem Pedalieren oder sogar langfristigen Verletzungen führen kann.

Um diese Winkel perfekt abzustimmen, empfehlen wir ein professionelles Bike-Fit. Bike-Fitter*innen bieten individuelle Analysen und Beratung, die auf deine persönlichen Ziele und Bedürfnisse abgestimmt sind – besonders bevor du in ein neues Rennrad investierst.

Wenn du eine App oder einen Online-Service zur Analyse deiner Körperhaltung verwendest, achte darauf, verschiedene Blickwinkel (linke Seite, rechte Seite, vorne und hinten) zu prüfen, da viele Menschen Asymmetrien zwischen linker und rechter Körperseite haben. Sei dir bewusst, dass solche Services oft eine aggressivere Sitzposition fördern, die nicht für alle Rennradler*innen geeignet ist.

Jedes Gelenk spielt eine wichtige Rolle bei der Kraftübertragung und der Vermeidung von Verletzungen. Hier sind die wichtigsten Gelenkwinkel, ihre Bedeutung und mögliche Verletzungsrisiken bei falscher Ausrichtung:

Gelenk Bedeutung Mögliche Verletzungsrisiken
Sprunggelenk Überträgt die Kraft auf die Pedale und beeinflusst die Pedaleffizienz. Ein neutraler Winkel entlastet die Unterschenkelmuskulatur. Übermäßige Beugung oder Streckung kann zu Achillessehnenreizungen oder Plantarfasziitis führen. Schlechte Fußstellung kann Waden- oder Schienbeinschmerzen sowie Taubheitsgefühle verursachen.
Knie Entscheidend für die Kraftübertragung und den langfristigen Fahrkomfort. Der richtige Winkel verhindert eine Überlastung des Kniegelenks. Überstreckung kann Patellasehnenentzündungen oder IT-Band-Syndrom verursachen. Zu starke Beugung führt häufig zu Knieschmerzen oder Quadrizeps-Zerrungen.
Hüfte Bestimmt den Rumpfwinkel und beeinflusst die Balance zwischen Aerodynamik und Komfort. Unzureichende Hüftbeugung kann zu Rückenschmerzen oder Verspannungen in den Hüftbeugern führen. Zu aggressive Winkel können Ischiasreizungen oder Hüftimpingement verursachen.
Schultern Unterstützen die Stabilität des Oberkörpers und beeinflussen die Gewichtsverteilung am Rad. Falsche Winkel führen zu Nacken- und Schulterschmerzen oder Ermüdung im oberen Rücken. Eine zu starke Vorneigung kann zu Rundrücken oder Muskelverspannungen führen.
Ellenbogen Dämpfen Vibrationen und ermöglichen eine dynamische Fahrposition. Leicht gebeugte Ellenbogen helfen, eine entspannte Haltung beizubehalten. Durchgestreckte Ellenbogen erhöhen den Druck auf Handgelenke und Schultern, was zu Gelenkschmerzen führen kann. Zu stark gebeugte Ellenbogen können Trizepszerrungen oder Instabilität bei technischen Passagen verursachen.
Handgelenk Wichtig für den Griffkomfort und die Vermeidung von Taubheitsgefühlen in den Händen. Ein neutraler Winkel entlastet die Median- und Ulnarnerven. Übermäßige Beugung oder Streckung kann zu Karpaltunnelsyndrom oder Lenkerlähmung führen. Schlechte Positionierung verursacht Kribbeln, Taubheit oder Schwäche in Händen und Fingern.


Wichtige Erkenntnisse:

  • Sprunggelenk & Knie: Konzentrieren sich auf Kraftübertragung und Effizienz – falsche Ausrichtung führt häufig zu Verletzungen der unteren Körperhälfte.
  • Hüfte: Balance zwischen Komfort und Aerodynamik – ein entscheidender Bereich zur Vermeidung von Rückenschmerzen und zur Maximierung der Pedalkraft.
  • Schultern, Ellenbogen & Handgelenke: Diese Gelenke sind entscheidend für den Fahrkomfort und die Kontrolle über das Rad, insbesondere bei langen oder technischen Fahrten.

c. Zielwinkel für verschiedene Fahrstile

In der folgenden Tabelle findest du Richtwerte für Gelenkwinkel, die bei der Anpassung der Sitzposition auf dem Rennrad helfen. Diese Zielwinkel können je nach Flexibilität, Kraft im Rumpfbereich und individuellen Zielen feinjustiert werden.

Praktischer Tipp: Miss die Sprunggelenk- und Kniewinkel, wenn sich der Fuß in einer neutralen Position befindet. Größere Winkel zeigen eine stärkere Beugung an. Die ideale Messposition ist, wenn das Pedal sich am tiefsten Punkt der Rotation (6-Uhr-Position) befindet.

Gelenk Komfort Ausdauer Aggressiv Climber Zeitfahren
Sprunggelenk 100°-110° (neutrale Beugung) 105°-115° (leichte Beugung) 110°-120° (starke Beugung) 105°-115° (leichte Beugung) 115°-125° (maximale Beugung)
Knie 140°-150° (entspannt) 145°-155° (ausgewogen) 150°-160° (gestreckt) 145°-155° (ausgewogen) 155°-165° (maximal gestreckt)
Hüfte 40°-45° (aufrechte Haltung) 35°-40° (moderate Neigung) 25°-35° (aerodynamische Neigung) 30°-40° (moderate Neigung) 15°-25° (tiefe Aero-Position)
Schultern 90°-95° (entspannt aufrecht) 85°-90° (neutrale Neigung) 70°-80° (nach vorne geneigt) 80°-85° (neutrale Neigung) 60°-70° (nach vorne getuckt)
Ellenbogen 150°-160° (gerade & entspannt) 140°-150° (leichte Beugung) 120°-130° (aktive Beugung) 130°-140° (leichte Beugung) 110°-120° (starke Beugung)
Handgelenk 5°-15° (entspannt) 0°-10° (neutral) 0°-10° (neutral) 0°-10° (neutral) 0°-5° (leicht gebeugt)

 

d. Selbstbewertung für Bike-Fitting

Vor dem Start eines Bike-Fittings sollten mehrere Faktoren ehrlich berücksichtigt werden. Nicht alle von uns sind 60 kg schwere Super-Athlet*innen, die 3 Stunden lang in optimaler Aeroposition fahren und 350 Watt leisten können.

1. Flexibilität und Bewegungsumfang

Mit zunehmender Flexibilität durch Training, insbesondere in Hüfte und Oberschenkelrückseite, kann dein Körper eine höhere Sattelposition oder niedrigere Lenkerposition besser tolerieren. Ein höherer Sattel kann den Pedaltritt verlängern und die Effizienz steigern, während ein tieferer Lenker die Aerodynamik verbessert. Achte jedoch darauf, den Sattel nicht zu hoch einzustellen, da eine Überstreckung zu Unwohlsein oder Belastung führen kann. Eine ehrliche Selbsteinschätzung hilft, das Risiko von Beschwerden zu minimieren.

2. Muskelkraft und Ausdauer

Verbesserte Muskelkraft und Ausdauer verändern die Fähigkeit, Energie in den Beinen zu erzeugen. Passe deine Sitzposition an, um diese Fortschritte zu nutzen, ohne den Komfort zu beeinträchtigen. Mit stärkeren Beinmuskeln kann eine leicht höhere Sattelposition die Tret-Effizienz und Kraftübertragung verbessern. Wichtig ist, dass die Anpassung keine Überbelastung bestimmter Muskelgruppen verursacht (z.B. der Rückenmuskulatur).

3. Dynamische Anpassungsmethoden

Allein auf statische Messungen zu vertrauen, reicht oft nicht aus, um die perfekte Sitzposition zu finden. Dynamische Methoden, wie sie von KI-gestützten Plattformen wie MyVeloFit angeboten werden, analysieren deine Bewegungsabläufe aus verschiedenen Blickwinkeln und machen Vorschläge zur Optimierung deines Bike-Fittings. Ein Vorwissen über deinen Fahrstil, deine Fähigkeiten und grundlegende Bike-Fit-Probleme ist jedoch unerlässlich, damit die Anpassungen auf deine Ziele zugeschnitten sind – nicht nur auf deine Körpermaße.

4. Schrittweise Anpassungen

Bike-Fitting ist keine exakte Wissenschaft, die sich einfach berechnen lässt. Die Feinabstimmung sollte schrittweise erfolgen, indem jeweils nur eine kleine Änderung (typischerweise 2-5 mm) vorgenommen und anschließend getestet wird. Gib deinem Körper Zeit, sich an jede Anpassung zu gewöhnen, bevor du weitere Änderungen vornimmst. Kleine Justierungen können den Komfort und die Leistung erheblich verbessern. Zu viele Anpassungen auf einmal erschweren es, herauszufinden, was wirklich hilft oder schadet.

5. Trettechnik und Effizienz

Eine effiziente Trettechnik ist von vielen Faktoren abhängig und bei jedem Menschen individuell. Die Gelenke arbeiten auf unterschiedliche Weise zusammen, um Kraft zu erzeugen. Am unteren Punkt des Pedaltritts sollte das Knie immer leicht gebeugt sein, während der Fußwinkel zur Aktivierung der richtigen Muskeln beiträgt. Ein zu hoher oder zu niedriger Sattel kann bestimmte Muskelgruppen belasten oder ihre Erholung behindern.

6. Links-Rechts-Ungleichgewichte

Links-Rechts-Ungleichgewichte, wie ein dominantes (stärkeres) Bein oder ein längeres Bein, können die Tret-Effizienz und den Komfort erheblich beeinträchtigen und zu Beschwerden führen. Diese Asymmetrien sind häufig und können auf natürliche Unterschiede oder Verletzungen zurückzuführen sein. Ohne Anpassung der Sitzposition kann dies zu ungleichmäßigen Pedaltritten, Muskelverspannungen oder Verdrehungen führen. Das Erkennen und Beheben solcher Ungleichgewichte ist entscheidend für ein komfortables Bike-Fit und zur Verletzungsprävention. Sattel-, Cleat- und Lenkeranpassungen sowie Einlegesohlen oder Shims können helfen, diese auszugleichen.

7. Kenne deine Füße

Wie die Wurzeln einer Pflanze sind die Füße von Rennradler*innen entscheidend – und werden oft viel weniger beachtet, als sie sollten. Sie sind maßgeblich für die Kraftübertragung und den Komfort verantwortlich. Fußform und -struktur variieren stark, ebenso wie Schuhe, Cleats, Einlegesohlen und Pedale. Feine Unterschiede in Gewölbehöhe, Gewölbelänge oder Fußpronation/Supination beeinflussen, wie dein Fuß mit den Pedalen interagiert und wie viel Verdrehung Knie und Hüfte bei jedem Tritt erfahren.

Ein Bike-Fit sollte immer bei den Füßen beginnen. Das Erkennen von Fußmerkmalen hilft bei der Auswahl der richtigen Schuhe, Cleat-Positionen und Pedal-Ausrichtung, um die optimale Kraftübertragung zu gewährleisten und Beschwerden oder Verletzungen zu vermeiden. Viele Probleme entstehen, wenn diese Merkmale ignoriert werden und durch falsche Anpassungen weiter oben im Bein neue Beschwerden verursacht werden – insbesondere, weil das Treten eine sehr repetitive Bewegung ist.

e. Das optimale Bike-Fit kann sich verändern

Es ist wichtig zu betonen, dass ein richtiges Bike-Fit keine einmalige Aufgabe ist. Dein Körper und deine Leistungsfähigkeit verändern sich mit der Zeit. Das Bewusstsein für persönliche Ziele und mögliche Anpassungen ist entscheidend, um langfristigen Komfort und Leistung zu gewährleisten.

Mit einem Grundverständnis für Bike-Fitting-Prinzipien und kleinen, schrittweisen Anpassungen kannst du den Radsport über Jahrzehnte hinweg genießen.

f. Beratung durch einen professionellen Bike-Fit

Wenn du unsicher bist, wie du Anpassungen vornehmen sollst, oder Schmerzen beim Fahren hast, empfehlen wir, einen **professionellen Bike-Fitterin** zu konsultieren. Diese Expertinnen sind darin geschult, die individuellen Bedürfnisse deines Körpers zu analysieren und maßgeschneiderte Empfehlungen für deine optimale Sitzposition zu geben.

Eine guter Bike-Fitter*in sollte dir nicht versuchen, neue Ausrüstung zu verkaufen oder dich zu einem neuen Fahrrad zu überreden. Ihr Service sollte sich ausschließlich darauf konzentrieren, deinen Komfort und deine Leistung zu verbessern.

Zur Suche nach zertifizierten und erfahrenen Bike-Fitter*innen empfehlen wir die Plattform des International Bike-Fitting Institute (IBFI): https://www.ibfi-certification.com/find-a-fitter

Wenn du – wie wir – in Deutschland ansässig bist, bietet BikeFitEurope Bike-Fittings an verschiedenen Standorten oder virtuell an: https://bikefiteurope.com

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