
Rennrad-Größenwahl
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Die Größenwahl bei Rennrädern kann kompliziert sein und zu einem Desaster führen, wenn man sich falsch entscheidet. Die von Herstellern angebotenen Größenleitfäden basieren oft auf einem aggressiven Fahrstil und schlagen zu große Rahmen vor. Es wird empfohlen, vor dem Kauf eines teuren neuen Rennrads ein professionelles Bike-Fitting durchzuführen.
a. Grundlagen der Rennrad-Größenwahl
Die Wahl der richtigen Rahmengröße hängt von einer Kombination aus Körpermaßen, Fahrhaltung und der Geometrie des Rads ab. Größen und Geometrien können je nach Rahmenstil und Hersteller stark variieren, daher ist ein grundlegendes Vorwissen sehr hilfreich.
Rennradrahmen werden traditionell anhand der Länge des Sitzrohrs gemessen. Diese Messung erfolgt normalerweise von der Mitte des Tretlagers bis zum unteren Ende des Oberrohrs. Allerdings kann dies je nach Marke variieren – einige messen bis zur Oberkante oder sogar zur Mitte des Oberrohrs.
Es gibt mehrere Probleme, wenn man sich ausschließlich auf die Sitzrohrlänge zur Größenbestimmung verlässt. Erstens ist die Position des Tretlagers (und damit des Kurbelsets) nicht mehr einheitlich. Hochwertigere Räder haben oft höher gelegene Tretlager, um das Treten in Kurven zu ermöglichen.
Zweitens variiert die Geometrie moderner Räder stark. Viele haben längere Oberrohre (und damit eine größere Reach), um tiefere, aggressivere Fahrstile zu unterstützen. Die Reach (Reichweite) ist schwieriger anzupassen als die Höhe. Du kannst den Sattel höher stellen oder den Lenker absenken, aber die Reach lässt sich nur schwer verkürzen, ohne den Sattel in eine ineffiziente Position zu bringen oder den Lenker auszutauschen.
Obwohl es viele Online-Berechnungen gibt, wie man anhand der Schrittlänge eine Rahmengröße für ein Rennrad auswählt (z. B. ×0,665 oder -12 cm), gibt es keine universelle Formel mehr.
Die beste Methode ist es, das Rad vor dem Kauf zu testen. Stelle dich über das Rad und achte darauf, dass du mindestens 2–4 cm Freiraum hast. Setz dich dann drauf und überprüfe, ob die Reach zu dir und deinem Fahrstil passt.
Praktischer Tipp: Lass dir beim Auswählen eines Rennrads Fotos oder Videos von dir in Seitenansicht auf verschiedenen Rädern machen. Vergleiche deine Körperhaltung auf den Rädern, sowohl mit den Händen in der unteren als auch in der oberen Lenkerposition.
Wichtig: Es ist völlig normal, einen kleineren Rahmen zu wählen, insbesondere wenn dein Rad 1 oder 2 Größen kleiner ist als deine Kleidergröße. Die Fahrradindustrie ist auf 60-kg-Fahrer*innen ausgelegt, die eine aerodynamische Haltung einnehmen und stundenlang 300 Watt leisten. Sie wirken schlank, weshalb man glaubt, dass normale Menschen größere Räder brauchen – aber das ist nicht der Fall. Unsere Rücken sind nicht auf lange Reach-Distanzen trainiert, also brauchen wir kleinere Räder.
b. Allgemeine Rahmengrößentabelle
Nicht verwenden, um dein Rad zu dimensionieren!
Diese Tabelle dient nur als Beispiel dafür, was von Herstellern zu erwarten ist, und soll helfen, die Unterschiede zu verstehen.
Körpergröße |
Schrittlänge |
Rahmengröße |
Oberrohrlänge |
Labelgröße |
147–157 cm |
63–69 cm |
47–50 cm |
47–50 cm |
XXS–XS |
157–168 cm |
69–76 cm |
50–54 cm |
50–53 cm |
XS–S |
168–178 cm |
76–84 cm |
54–56 cm |
53–55 cm |
M |
178–188 cm |
84–89 cm |
56–60 cm |
55–57 cm |
L–XL |
188–196 cm |
89–94 cm |
60–63 cm |
57–60 cm |
XL–XXL |
c. Tipps zur Rahmengröße
1. Kleinere Fahrer*innen (unter 162 cm):
- Suche nach Rädern mit kleineren Laufrädern (650c) oder kompakter Rahmengeometrie.
- Achte auf die Überstandshöhe, um eine sichere Bodenfreiheit zu gewährleisten.
- Verwende kürzere Kurbelarme (160–165 mm), um die richtigen Kniewinkel beizubehalten.
2. Größere Fahrer*innen (über 188 cm):
- Wähle größere Rahmengrößen (60+ cm) mit längerem Oberrohr für ausreichend Reach.
- Ziehe breitere Lenker für bessere Kontrolle in Betracht.
- Verwende längere Kurbelarme (175–180 mm) für einen effizienten Kraftübertrag.
3. Fahrer*innen mit langen Beinen (im Verhältnis längere Schrittlänge):
- Priorisiere die Überstandshöhe und Sattelverstellbarkeit gegenüber der Oberrohrlänge.
- Du benötigst eventuell eine längere Sattelstütze oder Rahmen mit größerem Sitzrohrauszug.
- Teste unterschiedliche Kurbelarmlängen.
4. Fahrer*innen mit langem Oberkörper (im Verhältnis kürzere Beine):
- Fokussiere dich auf eine Geometrie mit längerem Oberrohr und kürzerem Sitzrohr.
- Verwende Vorbauten mit mehr Reach, um die Länge des Oberkörpers auszugleichen.
- Teste unterschiedliche Kurbelarmlängen.
d. Tipps für verschiedene Fahrstile
Komfortstil:
- Achte auf: Längeres Sitzrohr und kürzeres Oberrohr für eine aufrechte Sitzhaltung.
- Praktischer Tipp: Für mehr Komfort kannst du einen kleineren Rahmen wählen.
Endurance-Stil:
- Achte auf: Höheres Oberrohr für kürzeren Reach, mehr Handpositionen und mehr Stabilität.
- Praktischer Tipp: Stelle sicher, dass deine Reach in verschiedenen Handpositionen bequem ist, da lange Fahrten unterschiedliche Sitzhaltungen erfordern.
Aggressiver Stil:
- Achte auf: Lange Oberrohre und tiefere Lenker für eine aerodynamische Position.
- Praktischer Tipp: Wähle eine passende Kurbelarmlänge (wichtig für die Kraftübertragung), bevor du dich endgültig für die Rahmengröße entscheidest.
Climber-Stil:
- Achte auf: Kürzere Oberrohre für eine aufrechtere Haltung, wobei Gewichtseinsparungen oft im Vordergrund stehen.
- Praktischer Tipp: Stelle sicher, dass du mit offenen Lungen aufrecht sitzen und dabei eine konstante Leistung aufrechterhalten kannst.
Time-Trial-Stil:
- Achte auf: TT-Räder haben oft kürzere Sitzrohre und längere Oberrohre für eine flache Körperposition. Wähle, was zu deinem Körper passt.
- Praktischer Tipp: Sei ehrlich über deine Fähigkeiten und achte auf präzise Körpermaße. Ein Bike-Fitting maximiert Geschwindigkeit und Leistung.
Gravel-Stil:
- Achte auf: Kürzere Oberrohre und ausgestellte Lenker für mehr Komfort und Kontrolle, sowie mehr Reifenfreiheit für breite Reifen und Schutzbleche.
- Praktischer Tipp: Gravel-Geometrien sind oft auch für Anfängerinnen und fortgeschrittene Fahrerinnen auf Straßen geeignet. Viele Upgrades sind möglich.
e. Lenker & Sattel
Bei der Wahl der richtigen Rennrad-Rahmengröße sollten auch Lenker und Sättel berücksichtigt werden. Diese haben einen großen Einfluss auf die Passform des Rads, gehören aber zu den häufigsten Upgrades. Daher werden sie in den Kapiteln Rennrad anpassen und Rennrad aufrüsten ausführlich behandelt. Dennoch gibt es einige wichtige Aspekte, die beim Bestimmen der passenden Rahmengröße berücksichtigt werden sollten.
Lenkerbreite
- Sollte zur Schulterbreite des Fahrers passen, um optimale Kontrolle und Komfort zu gewährleisten.
- Zu schmal: Kann die Atmung einschränken, zu Instabilität führen und übermäßigen Druck auf die Handgelenke ausüben.
- Zu breit: Erhöht den Luftwiderstand und kann Beschwerden in Schultern und oberem Rücken verursachen.
- Beeinflusst die Aerodynamik und Effizienz, insbesondere in Ausdauer- und Rennpositionen.
Lenker-Drop-Form
- Bestimmt die Handposition und den Komfort beim Fahren in den Unterlenkern.
- Flat-bars: Begrenzte Anzahl von Handpositionen, aber manche Leute mögen sie einfach.
- Kompakte Drops: Kürzere Reichweite und geringere Absenkung – ideal für Langstreckenfahrten und kleinere Fahrer*innen.
- Traditionelle Drops: Tiefere Position, besser für aggressive Fahrstile und Sprints.
- Ergonomische Drops: Abgeflachte oder geformte Drops für erhöhten Komfort auf langen Fahrten.
- Beeinflusst die Hand- und Handgelenkshaltung, was sich auf Druckverteilung und Kontrolle auswirkt.
Lenker-Drop-Höhe
- Bezeichnet den vertikalen Abstand zwischen der Oberseite des Lenkers und dem tiefsten Punkt der Unterlenker.
- Geringere Drop-Höhe: Fördert eine aerodynamischere Haltung, kann aber die Flexibilität beanspruchen.
- Höhere Drop-Höhe: Bequemer für Langstreckenfahrten, reduziert die Belastung von Rücken und Schultern.
- Muss mit Vorbaulänge und Stack-Höhe abgestimmt werden, um eine nachhaltige Fahrposition zu gewährleisten.
Sattelbreite
- Sollte zur Sitzknochenbreite passen, um optimale Unterstützung und Druckverteilung zu gewährleisten.
- Zu schmal: Kann zu Unbehagen, Taubheitsgefühlen und übermäßigem Druck auf Weichteile führen.
- Zu breit: Kann Scheuerstellen verursachen und die Pedaliereffizienz verringern.
- Ein richtig angepasster Sattel verbessert den Langstreckenkomfort und die Fahreffizienz.
Sattelhöhe
- Bestimmt die Pedaliereffizienz, die Knieausrichtung und den allgemeinen Komfort.
- Zu hoch: Führt zu übermäßiger Beinstreckung, Hüftbewegungen, Kniebelastung und Leistungsverlust.
- Zu niedrig: Erhöht die Kniebeugung, was vorderen Knieschmerz verursacht und die Kraftübertragung verringert.
- Ideal ist ein leicht gebeugtes Knie (~25-35° Winkel), wenn das Pedal sich in der tiefsten Position befindet.
Sattelposition (Vor-Zurück & Neigung)
- Vor-Zurück-Position beeinflusst das Gleichgewicht und die Kraftübertragung.
- Zu weit vorne: Erhöht den Druck auf Hände und Knie.
- Zu weit hinten: Verringert die Pedaliereffizienz und kann den unteren Rücken belasten.
- Sattelneigung beeinflusst den Komfort und die Gewichtsverteilung.
- Eine neutrale oder leicht nach unten geneigte Position ist optimal für Komfort und zur Vermeidung von Taubheitsgefühlen.
- Eine zu starke Neigung nach vorne kann ein Abrutschen verursachen, wodurch Hände und Handgelenke stärker belastet werden.
Die Wahl des richtigen Lenkers beeinflusst die Aerodynamik und den Fahrkomfort, insbesondere für die Arme. Die Wahl des richtigen Sattels reduziert Druckpunkte und beugt Beschwerden auf langen Fahrten vor. Da diese Komponenten die Passform und das Fahrgefühl erheblich beeinflussen, gehören sie zu den häufigsten Upgrades für Rennradler*innen.
All diese Punkte werden in den kommenden Kapiteln noch ausführlicher behandelt.
f. Zusammenfassung der wichtigsten Tipps zur Größenwahl
- Vertraue nicht blind auf Herstellerempfehlungen:
Sei ehrlich zu deinen Zielen und deinem Stil, und informiere dich vorab. - Überstandshöhe:
Stelle sicher, dass mindestens 2–4 cm Freiraum zwischen dem Oberrohr und deinem Schritt vorhanden sind. - Testfahrten:
Probiere das Rad immer aus, und lass dir Fotos aus der Seitenansicht machen, um deine Körperhaltung zu beurteilen. - Im Zweifel eine Nummer kleiner:
Es ist einfacher, ein Rad für längere Beine anzupassen, als die Reach zu verkürzen. - Professionelles Bike-Fitting:
Wenn du vorhast, in ein Rad zu investieren, empfehlen wir dringend, einen Bike-Fitter zu konsultieren, um sicherzustellen, dass du das richtige Rad für deinen Körper kaufst.
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